Ausführliches Interview mit Andrzej Sapkowski
Als er Mitte der 80er Jahre die erste Geschichte zu Wiedźmin schrieb, hatte er nie vermutet, dass fast dreißig Jahre später seine Werke zu den am häufigsten übersetzten polnischen Fantasybüchern (nach Stanislaw Lem) gehören würden.
Dass der von ihm erschaffene Hexer auf den Seiten von Comics und in Computerspielen, die überall auf der Welt verkauft werden, beginnt, sein eigenes Leben zu führen.
Über den polnischen Buchmarkt, die Zukunft des Lesens und die Urheberrechte unterhalten wir uns mit Andrzej Sapkowski.
Kürzlich fand die Warschauer Buchmesse statt, die Scharen von Besuchern angezogen hat.
Wie empfinden Sie solche Veranstaltungen? Ist es ein Vergnügen, den Lesern zu begegnen, eine mühsame Pflicht oder vielleicht noch etwas anderes?
Im großen Kreis von Fantasyschriftstellern waren Treffen mit den Lesern eine immer absolut natürliche Sache, weil so auch die Schriftsteller unvergleichlich mehr Möglichkeiten hatten, als der mainstream. Jedes Jahr finden international und national viele größere und kleinere Tagungen und Kundgebungen für Fantasy-Fans statt. Auf solche Tagungen werden Schriftsteller eingeladen und man erwartet von ihnen Treffen mit den Lesern – eine sowohl offizielle als auch inoffizielle Teilnahme an Diskussionen, Autogrammstunden, etc... Es ist wie gesagt ganz normal und keiner von uns würde das als Ärgernis oder lästige Pflicht betrachten.
Und wie sehen Sie das am häufigsten diskutierte Problem der sinkenden Leserschaft in Polen?
Nach einer neuen Studie lesen 61% der Bevölkerung überhaupt nichts. Aber ich denke, dass es noch schlimmer ist. Es gibt – wirklich - es gibt noch einige, die schämen sich, ein Blödmann zu sein, prahlen nicht damit – und lügen dann einfach in den Umfragen.
Es gibt auch – und darin liegt der Kern des Problems – diejenigen, die leidenschaftlich gerne lesen, aber sich keine Bücher leisten können. Die Bücher in Polen sind außergewöhnlich teuer im Bezug auf die Kaufkraft der Bevölkerung. Die Preise für Bücher in Polen – sie basieren in der Tat auf wirtschaftlichen Berechnungen, die darauf zielen, dem Verleger einen anständigen Gewinn zukommen zu lassen – sind gleich hoch wie in Westeuropa. Aber die Kaufkraft des Westens ist unvergleichlich größer. Und unsere Regierenden belasten die Bücher – anstatt sie zu subventionieren – noch mit Mehrwertsteuern. Wie Kaviar.
So wird das Buch zum Luxusgut, zu teuer für einen Großteil der verarmenden Bevölkerung.
Wie bewerten Sie Kampagnen zur Förderung des Lesens? Haben solche Maßnahmen wie „Liest du nicht, gehe ich mit dir nicht ins Bett“ eine Chance auf Erfolg?
Nein, sie haben absolut keine. Ich möchte richtig verstanden werden: Es ist gut, dass es solche Aktionen gibt, dass jemand Lust hat, sie zu organisieren. Allein diese Initiativen sind wertvoll – weil alle Initiativen wertvoll sind. Aber messbare Effekte werden sie nicht im Geringsten erbringen.
Die lesenden Menschen beurteilt man nicht und belohnt sie nicht. Nicht mit Sex oder irgendetwas anderem. Die lesenden Menschen verachtet man.
Ich kenne ein paar Beispiele von bekannten Frauen, die aufgehört haben, in Zügen zu lesen - sie wurden von mitreisenden Blödmännern ziemlich ordinär belästigt.
Ein Blödmann zu sein, ist derzeit Mode in unserem Land. Es ist comme il faut.
Und so entsteht das ewige Dilemma: Ei oder Huhn?
Liest die Bevölkerung nicht, weil sie aus Blödmännern besteht, oder vielleicht umgekehrt? Ließt sie nicht und ist in der Folge zu Blödmännern geworden? Und es gibt darum überall so viele Blödmänner?
Kommt es vor, dass Sie elektronische Bücher lesen, oder hängen Sie doch mehr am Papier?
Ich lese sehr viele elektronische Bücher - die Zufriedenheit beim Lesen vom Bildschirm ist kleiner, als die beim Lesen von Gedrucktem. Doch die Bequemlichkeit ist unvergleichlich größer.
Wenn ich wegfahre kann ich die ganze elektronische Bibliothek mitnehmen. Und wie viele an gedruckten Büchern könnte ich mitnehmen? Ohne dass ich Wirbelsäulenverletzungen riskieren würde und Kosten für Übergepäck bezahlen müsste? Die Zukunft gehört den E-Books.
Es ist unmöglich, den Fortschritt, der Komfort bringt, zu verlangsamen oder zu stoppen.
Und wie sehen Sie die digitalen Versionen der eigenen Bücher? Es sind viele Jahre vergangen, bevor wir die Saga von Geralt als E-Book lesen konnten. Waren Sie früher skeptisch gegenüber dieser Art der Veröffentlichung oder haben Sie ganz einfach kein vernünftiges Angebot erhalten?
Ich dementiere. Ich war nie skeptisch gegenüber der digitalen Form der Veröffentlichung. Ich sage vielmehr: Wenn es von mir abhängig gewesen wäre, würde ich ein Pionier in dieser Branche sein. Sapkowskis Bücher wären die ersten E-Books in Polen. Es war aber nicht von mir abhängig.
Ich möchte mich hier nicht mehr in diese Sache vertiefen.
Als „Sezon burz“ [„Zeit des Sturms“] zunächst nur auf dem Papier in den Regalen erschien, waren die Emotionen von Lesern extrem erhitzt. Auf der einen Seite: Andrzej Sapkowski kehrt zu seinem wichtigsten literarischen Projekt, das Wiedźmin immer bleiben wird, zurück. Auf der anderen Seite jedoch gab es schnell viele Stimmen, die das Fehlen einer digitalen Ausgabe kritisierten.
Was führte zu dem anfänglichen Fehlen einer elektronischen Version?
Die Frage stellen Sie an eine völlig falsche Adresse. Ich schreibe die Bücher. Dann werden sie herausgebracht; über die Art der Publikation entscheidet jemand anderes, der seine eigene Politik betreibt und realisiert sie nach den wichtigsten Interessen seines Unternehmens.
In diese Politik mische ich mich grundsätzlich nicht ein. Und ich habe nicht die Absicht, sie in einem Interview zu kommentieren.
Seit der Premiere von „Sezon burz“, bis zum Erscheinen des E-Book auf der Plattform cdp.pl, ist über ein Monat vergangen. In dieser Zeit sind im Internet Raubkopien von ihrem Buch erschienen.
Bewerten Sie in dieser Situation diese späte Herausgabe des E-Books als ein Fehler von Seiten des Verlages? Heute wissen wir, dass „Sezon burz“ das meistverkaufte E-Book-Angebot auf cdp.pl ist.
Wird der nächste Roman von Andrzej Sapkowski in Druck- und Digitalform zur gleichen Zeit veröffentlicht werden?
Das ist eine Frage an die falsche Adresse. No comments. Next question please.
Wir sprachen über illegale Scans Ihres Buches. Und wie ist Ihre Meinung zum Urheberrecht? Sollte das Rechtssystem in dieser Hinsicht geändert werden?
Es ist ein wenig komisch, einen Autor nach seiner Meinung zum Urheberrecht zu fragen. Und zu der Problematik einer Änderung des Rechtesystems, indirekt: in Richtung der Autoren, ihnen Rechte zu entziehen oder sie sehr stark zu begrenzen. Es gab bereits solche Stimmen – scheiß auf die Autoren, scheiß auf das Gesetz, Hauptsache, der Zugang zur Kultur ist allgemein und frei zugänglich.
Bitte bemerken Sie [in dem Artikel], dass ich das unterstütze. Der Zugang zu Kulturgütern sollte genauso frei zugänglich und universell sein, wie der Zugang, zu – sagen wir - Fahrrädern.
Möchtest du ein Fahrrad? Oh, bitte. Es reicht, in einen Laden zu gehen und zu bezahlen. Ergo: Jeder, der das Urheberrecht verletzt, sollte aus der Sicht des Gesetzes genau so behandelt werden, wie eine Person, die versucht hat, aus einem Laden ein Fahrrad zu entwenden, ohne dafür bezahlt zu haben.
Wie wäre es aus Ihrer Sicht am besten, die Benutzer der Kultur zu motivieren, legale Quellen zu verwenden? Eine Methode dies zu tun könnte es sein, zusätzliche Elemente in das Werk einzubinden – solche, wie die von Ihnen geschriebene Einleitung, die nur in dem offiziellen E-Book „Sezon burz“ zu finden ist?
Ja, das ist eine der Möglichkeiten. Man muss auch die Meinung verstärken, dass ein offizielles und legales Buch vor Raubkopie zu bevorzugen ist und dass man für Qualität zahlt.
Dass es besser ist, ein paar Złotys mehr zu zahlen, dafür aber ein autorisiertes, vom Künstler bearbeitetes, professionell korrigiertes Werk zu erhalten, anstatt beim Lesen die Nerven zu verlieren. In den raubkopierten Scans erscheinen dank unvollkommener OCR-Programme in jedem zweiten Satz Fehler. [poln. Beispiele: „nie słyszał“ wird zu „nie dyszał“, „posłano“ zu „posiano“ usw.]
Was halten Sie von Initiativen wie der BookRage.org (Aktionen die in einer begrenzten Zeit erlauben, einen bestimmten Satz von E-Büchern zu einem beliebigen, vom Käufer bestimmten Preis vom Hersteller zu erwerben)? Ähnliche Initiativen, die mit Videospielen verbunden sind, brechen Popularitätsrekorde – vielleicht ist dies eine Möglichkeit, die Leserschaft in Polen zu erhöhen.
Ich wiederhole: Diese Initiativen sind wertvoll und hoffentlich wird es mehr von ihnen geben. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Es sind Fackeln, die für einen Moment die Schwärze der Nacht erleuchten. Aber bei den aktuellen Buchpreisen und der blühenden Mode, ein Blödmann zu sein, bringen sie nicht viel.
Leser, die sich für Fantasie interessieren, erinnern sich an eine Reihe namens „Andrzej Sapkowski empfiehlt“, in der Sie weniger bekannte, aber begabte Künstler präsentiert haben. Wenn Sie auf ähnliche Art und Weise ein Paket zusammenstellen könnten – sagen wir von fünf Büchern -, das zu einem digitalen Vertrieb gehen würde, was für eine Zusammensetzung wäre das und warum wäre es gerade diese?
Als die Idee für diese Reihe geboren wurde, gab es eine große Auswahl. Die Liste von bemerkenswerten und unbemerkten Autoren und Titeln war sehr lang, darunter waren Klassiker der Fantasie, die man auf der Jagd nach Innovationen vergessen hatte.
Heute ist es anders, die Veränderungen sind gewaltig. Beinahe jeder neue wertvolle Titel wird übersetzt und trifft blitzartig in Buchhandlungen ein. Auch in der klassischen Fantasie wurden die Rückstände aufgeholt.
Ich würde Schwierigkeiten bei der Erstellung einer Liste von mindestens fünf Büchern haben, außerdem bin ich sicher, dass die Liste nicht mehr aktuell wäre, noch bevor dieses Interview erscheint. Also gut, nicht dass man sagt, ich suche nach Ausreden. Hier ist eine kurze Liste bekannter klassischer Fantasy, mit der der polnische Leser noch nicht bekannt gemacht wurde:
Sheri S. Tepper, Beauty. R. A. MacAvoy, Tea with the Black Dragon. Charles de Lint, The Little Country. Delia Sherman, The Porcelain Dove. Ellen Kushner, Thomas the Rhymer. Diane Duane, Book of Night With Moon. Alan Garner, The Owl Service. Louise Erdrich, The Antelope Wife. Paula Volsky, The Grand Ellipse. Terri Windling, The Wood Wife und unter der Redaktion dieser die Borderland-Anthologie. Sind es mehr als fünf geworden? Also ist die Auswahl groß.
In letzter Zeit gab es viel Gerede über eine Aussage von Kaja Malanowska – die Schriftstellerin klagte öffentlich, wie wenig sie durch ihre literarische Arbeit verdiene („6800 Zł [ca. 1645€] […] für 16 Monate meiner harten Arbeit […] Ich habe Lust, mir in den Kopf zu schießen.“).
Dies provozierte eine breite Diskussion – über das Einkommen von Schriftstellern und darüber, ob der Staat ein System von Stipendien für junge Künstler entwickeln sollte. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema – verdienen Schriftsteller zu wenig? Ob und in welchem Umfang sollte man den weniger bekannten, neu beginnenden helfen?
Es ist eine Tatsache, dass Schriftsteller die wahrscheinlich am meisten verarmte Berufsgruppe in Polen bilden. Wenn Frau Malanowska eine Produktion mit Mineralwasser betrieben hätte, hätte sie in einem Monat mehr verdient, als als Schriftstellerin in einem Jahr. Dennoch ändern Klagelieder und Wehklagen diese Situation nicht. Wenn man ein Schriftsteller werden will, muss man die Tatsache akzeptieren, dass es nicht leicht wird und dass man für harte Arbeit wenige Groschen bekommt – und das noch ein bis zwei Jahre nach Beginn der Arbeit. Wenn man viel verdienen will, muss man eine Produktion eröffnen. Und wenn man viel verdienen, aber nicht wirklich arbeiten will, muss man für das Europäische Parlament kandidieren. Das war ein Scherz. Ha, ha.
Was die staatliche Hilfe betrifft, da erlauben Sie sich wohl Späße mit mir. Der Staat hat doch gerade gezeigt, was er von Kultur und ihren Schöpfern hält. Der Staat hat besonders bösartige repressive Steuern erhoben. Und Sie fragen mich nach Stipendien, nach Hilfen, nach Unterstützung? Von diesem Staat? Wohl ein Scherz.
Das Interview führte: Piotr Kubiński
Quelle: legalnakultura.pl
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